Islamische Kunstgeschichte in Hamburg & Berlin
21. Juli 2024
Eine praxisbezogene Exkursion mit Bezügen zu drei Schwerpunkten: Kuratieren, Kodikologie und Provenienzforschung.
21. Juli 2024
Eine praxisbezogene Exkursion mit Bezügen zu drei Schwerpunkten: Kuratieren, Kodikologie und Provenienzforschung.
Anfang Juli 2024 lud Prof. Dr. Ilse Sturkenboom, Professur der Islamischen Kunstgeschichte, ihre Kolloquiumsteilnehmer:innen zu einer Exkursion in gleich zwei Städte mit wichtigen Bezügen zu ihrem Forschungsgebiet ein. Dabei kristallisierten sich drei Schwerpunkte heraus: Kuratieren, Kodikologie und Provenienzforschung.
Zunächst reisten wir nach Hamburg, wo wir am Museum für Kunst und Gewerbe (MK&G) die Leiterin und Kuratorin der Sammlungen Ostasien und Islamische Kunst, Dr. Wibke Schrape, die Verantwortliche für Provenienzforschung, Dr. Silke Reuther, und die Justus Brinckmann Volontärin für Islamische Kunst, Jasmin Holtkötter, M.A., trafen. Frau Holtkötter nimmt selbst am Kolloquium teil und arbeitet gerade ein Doktoratsthema aus. Wir starteten mit einer Diskussionsrunde über Strategien des Kuratierens bei der Sammlung Islamische Kunst: Seit der Gründung des MK&G im Jahr 1874 wurden Objekte aus islamisch geprägten Ländern gesammelt, um als Vorbilder für das lokale Kunsthandwerk zu dienen. Dieser Aspekt der Vorbildsammlung soll in der kuratorischen Arbeit wieder stärker zum Ausdruck kommen. Dabei kamen verschiedene Aspekte auf, wie Inventarisierung von (neuen) Objekten, Ergänzung von Datenbankeinträgen oder Provenienzfragen. Es wurde festgestellt, dass Ankäufe häufig problematisch sein können, da es sich um Raubgut oder Objekte mit kolonialer Geschichte handeln könnte. Jedoch sind auch bereits inventarisierte Objekte davon betroffen und werden, wenn möglich, restituiert. In der Regel ist allerdings nicht nachvollziehbar, wie die Objekte in den Kunsthandel gelangt sind und wer die rechtmäßigen Eigentümer:innen sind.
Diese Themen werden auch in der Dauerausstellung behandelt und visuell hervorgehoben. Im Anschluss an das gemeinsame Gespräch erhielten wir eine Führung durch ebendiese Ausstellung, wo die Räume durch Themen gegliedert werden, von Vielfalt und Wechselwirkung, über Glaube und Spiritualität zu Dichtkunst. Auch Strategien der Wissensvermittlung wurden analysiert: Die Präsentation verzichtet bisher auf Informationsschilder und bietet den Besucher:innen stattdessen Booklets an, die sie während der Besichtigung durchblättern können. Jedoch soll diese Strategie zugunsten einer besseren Zugänglichkeit und Lesbarkeit überdacht werden. Dies würde bedeuten, dass Informationsschilder direkt neben den Ausstellungsstücken aufgestellt werden.
Mit der Schaustellung der Sammlungsstücke ist auch die Objektakquise verbunden. In der kürzlich aufgesetzten Sammlungs- und Ankaufsstrategie sind beispielsweise für die Sammlung Islamische Kunst (S. 12) bereits abgeschlossene Sammlungsgebiete niedergeschrieben, ebenso wie der aktive Ankauf von zeitgenössischem Kunsthandwerk und Design. Passive Ankäufe, Gelegenheitskäufe und Schenkungen, sind aufgrund der problematischen Lage in der SWANA-Region (Südwestasien und Nordafrika) nicht vorgesehen.
In Zukunft wird eine neue dynamische Sammlungspräsentation nach modularem Verfahren angedacht. Besonders zentral ist dabei der Frage der Benennung – der Begriff der „islamischen“ Kunst stellt Verbindungen zum Islam her, wobei dies nicht auf alle Objekte zutrifft. Der Fokus soll ebenso auf Design und Kunsthandwerk, ganz im Sinne der Institution des MK&G, liegen und auch die Zusammenarbeit mit Diaspora-Gemeinschaften im Zusammenhang mit Gestaltung forciert werden. Dies äußert sich bereits jetzt durch die Wechselausstellungen, wie die von Frau Holtkötter vorgestellte Ausstellung „Innere Strukturen – Äußere Rhythmen“, die zeitgenössisches arabisches und persisches Grafikdesign in den Mittelpunkt rückt. Sie stellte uns ausgewählte Plakate, Videos, Animationen, Murals, Installationen, Bücher und Schriftarten vor, welche sich mit der Schrift und deren Dynamik in ihrer Ausprägung beschäftigt. Die Ausstellung ist noch bis 22.04.2025 zu besichtigen. Wir bedanken uns herzlich für die Möglichkeit des Austausches und die Einblicke hinter die Kulissen!
Am nächsten Tag fuhren wir nach Berlin, wo wir am Vormittag im Archäologischen Zentrum der Staatlichen Museen zu Berlin von Dr. Margaret Shortle, Kuratorin für islamische Kunst, und Franziska Kabelitz, M.A., wissenschaftliche Museumsassistentin (i.F.) im Museum für Islamische Kunst, empfangen wurden. Gemeinsam besuchten wir die hauseigene Bibliothek des Museums für Islamische Kunst, die exklusiv auf ebendiesen Schwerpunkt ausgelegt ist. Danach durften wir im Handschriftendepot einige ausgewählte Folios und Manuskripte kodikologisch begutachten. Zur Handschriftenkunde zählen neben der Feststellung von Papierarten, Layoutgestaltung und Schriftanalyse auch Dekorationstechniken wie jene des Goldbesprenkelns oder der Schablonenarbeit.
Prof. Sturkenboom beschäftigt sich im Rahmen ihres ERC-Projekts GLOBAL DECO PAPER mit diesen Aspekten und demonstrierte mit dem Dino-Lite, einem Digitalmikroskop, wie verschiedene Herstellungsphasen sichtbar gemacht und fotografisch dokumentiert werden können. Unter anderem wurden Folios aus dem safawidischen Iran und mogulzeitlichen Indien unter die Lupe genommen und diskutiert, wobei sich dadurch neue Forschungsmöglichkeiten offenbarten – eine wahre Schatzkammer für Handschriftenforscher:innen! Herzlichen Dank in diesem Zusammenhang an Dr. Shortle, die diese Besichtigung möglich machte.
Im Berliner Kupferstichkabinett bekam das interdisziplinäre Team von ca. 30 Volontär:innen der verschiedenen Abteilungen und Sammlungen der Staatlichen Museen zu Berlin sowie der Stiftung Preußischer Kulturbesitz die Möglichkeit, Objekte ihrer Wahl unter Berücksichtigung der festgelegten Themen auszustellen. Frau Kabelitz war Teil dieses Teams und führte uns durch die spannende Ausstellung. Sie stellte zuerst die drei von ihr ausgesuchten Stücke des Museums für Islamische Kunst vor: Eine Lüsterfliese des frühen 14. Jahrhunderts aus dem Iran, einen bronzenen Türklopfer aus Anatolien oder der Kaukasusregion um 1900 und ein marmornes Paneelfragment aus Chirbat al-Minya (heute Israel) des frühen 8. Jahrhunderts. Zu jedem dieser Objekte erzählte uns die Co-Kuratorin spannende Details, wie beispielsweise über die restaurierte Fliese mit Schriftzug und Vogeldarstellungen, wobei allen Vögeln außer einem die Köpfe ausgeschlagen wurden. Während bis heute der Gedanke eines strikten Bilderverbots im Islam hartnäckig anhält, so wurde prinzipiell nur im dezidiert religiösen Kontext auf Bilder verzichtet. Vögel konnten beispielsweise in bestimmten Perioden als reine Ornamente und in anderen wieder als Lebewesen angesehen werden; zu einer bestimmten Zeit strikter Religiosität wurden diese Darstellungen im Ursprungskontext des Frieses wohl nicht mehr geduldet.
Der Türklopfer, gebildet aus zwei Drachen, ist mit zwei Stücken aus dem Museum für Türkische und Islamische Kunst in Istanbul und der David Sammlung in Kopenhagen fast identisch. Jedoch stellte sich durch kunsttechnologische und stilistische Untersuchungen sowie durch geringe Abnützungsspuren heraus, dass es sich hier womöglich um eine für den europäischen Kunstmarkt hergestellte Reproduktion um die Jahrhundertwende handelt. Nichtsdestotrotz offenbart auch dieses Objekt zentrale Punkte der Forschung und Objektakquise – beispielsweise existieren hier keine expliziten Kaufverträge oder Herkunftsnachweise.
Das aus einem klaren archäologischen Kontext stammende Wandverkleidungsfragment der Umaiyadendynastie (reg. 661-750) zeigt wiederum interessante Um- bzw. Abarbeitungsspuren im Flachrelief. Möglicherweise wurden hier kreuzförmige Elemente herausgemeißelt. Dies erweckt den Anschein, als wäre diese Platte als Spolie einem bereits bestehenden christlichen Gebäude entnommen und in einem frühislamischen Bauwerk eingesetzt worden.
Die Kolloquiumsteilnehmer:innen diskutierten noch zahlreiche weitere, auch audiovisuelle, Ausstellungsstrategien und erhielten bis dato unbekannte Einblicke in die oftmals komplexe Realisierung einer Ausstellung, so unter anderem konservatorische Bedenken, die Arbeit eines Registrars oder die Beschaffung von Vitrinen für die Objekte. Bei der anschließenden Erfrischung wurden finale Gedanken ausgetauscht, bevor wir gestärkt nach München zurückkehrten. Noch bis 25.08.2024 ist diese Ausstellung zu sehen und wir bedanken uns für die exklusive und transparente Führung!
Diese Kurzexkursion zeigte uns wiederholt, wie essenziell der Austausch zwischen unterschiedlichen Forschungseinrichtungen für die wissenschaftliche Arbeit ist und wie Kulturvermittlung durch erfolgreiche kuratorische Konzepte und durch die Einbettung von Fragen zur Provenienzforschung erfolgen sollte.
Theresa Zischkin
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