Arbeiten mit KI – als ‚(super-)user‘ zwischen Reproduktion und Kreation
9. September 2024
Projekt zum SALON 100 – eine Veranstaltungsreihe der Kulturwerkstatt HAUS 10 | Beitrag von Sonnja Genia Riedl
9. September 2024
Projekt zum SALON 100 – eine Veranstaltungsreihe der Kulturwerkstatt HAUS 10 | Beitrag von Sonnja Genia Riedl
Projekt zum SALON 100 – eine Veranstaltungsreihe der Kulturwerkstatt HAUS 10 | Beitrag von Sonnja Genia Riedl
Im Andenken an meine Mama Ida Bachmeier
Als Herausgeberin des Internetmagazins edulogo – Kunst und Code in Unterricht und Lehre (edulogo.org) wurde ich von Georg Trenz als einem der seit Jahren bekannten Persönlichkeiten dieser Kunstszene zum SALON 100 eingeladen: die Künstlervereinigung Fürstenfeldbruck lädt zu ihrem 100jährigen Bestehen ein.[1] So gibt es also ein Salongespräch über „Arbeiten mit KI“, am Samstag, 14. September 2024 um 16.30h in Fürstenfeldbruck im HAUS 10.
Abb. 01: Arte Programmata, arte cinetica. Kinetische Kunst, ausgestellt u.a. in Mailand, Italien, 1962, fotografiert im Archiv des ZKM, Karlsruhe Abb. 02: „Click here to kill everybody. Security and Survival in a Hyper-connected World“, Buchcover von B. Schneier (Detail, Abbildung absichtlich verkehrt auf dem Kopf stehend). |
Worüber werden wir uns dort wohl unterhalten? Über die lange Historie, die das Maschinelle Lernen der KI-Algorithmen hat, und über deren Ursprünge u.a. in der Kinetischen Kunst in den 60er Jahren? (vgl. Abb. 01: Arte Programmata). Oder über die existentielle Bedrohung, die in der Performanz und Unberechenbarkeit von Neuronalen Netzen liegen kann? Wo genau sind wir humanen Wesen in unserem Kern überall unterstützt oder/und bedroht durch die momentanen Entwicklungen? Ist womöglich eine Auslöschung oder irreversible Modifikation des menschlichen Genoms näher, als wir in unseren düstersten Ahnungen nicht zu träumen vermögen? (vgl. Abb. 02: Click here to kill everybody. Security and Survival in a Hyper-connected world).
Abb. 03: Connect. Code. Create. Ein Fundstück auf einem Plakat. Abb. 04: ERROR! Digitalisierung alter Videobänder im Zentrum für Kunst und Medien (ZKM), Karlsruhe |
Womöglich werden wir über die faszinierenden Vorzüge sprechen, die unsere globale Vernetzung mit sich gebracht hat, und über die kreativen Kreationen mit Code in Programmierung. (vgl. Abb. 03: Connect. Code. Create). Immerhin sind die unerlaubten riesigen Datenmengen z.B. des ImageNet eine wesentliche Datenbasis generativer Bilderzeugung, die nur in unseren digital vernetzten Welten so schnell und umfassend großteils unerlaubterweise gescraped werden konnten. Mit welchen Bildern wir uns in den KI-Welten generierter Bilder umgeben, hängt von den Trainingsdaten ab. Und die Qualität von KI hängt an der Qualität der Daten. Es wird die Datenverzerrung, das sog. „Bias“ als problematisch angesehen, wenngleich dies auch zugleich Spiegel und Abbild gesellschaftlicher Missverhältnisse ist, und somit auch als Warnzeiger verstanden werden kann. Sollte KI oder dessen Bias aber unser Wegweiser sein, so ist die große Frage, ob wir beispielsweise aus Social-Bias-Analysen die passenden Schlüsse ziehen. Fehler in Klassifizierungen durch Gender- oder Race-Bias, also fehlerhafte Zuordnungen je nach Geschlecht oder Hautfarbe (abgesehen davon, dass der Begriff der Rasse an sich doch besser endlich aus dem Deutschen Grundgesetz gestrichen werden sollte, da wir erwiesenermaßen nicht von menschlichen Rassen sprechen können), sind halt nicht so leicht zu beheben, wie z.B. Fehler bei anderen technischen Vorgängen: Eine Digitalisierung alter Videobänder zum Beispiel ist trotz aller Herausforderungen der Datenkonservierung ein besser überschaubarer Vorgang als eine Fehlersuche bei der sog. ‚Backpropagation‘, also der Fehler-Rückverfolgung in vielschichtigen Neuronalen Netzen, um herauszufinden, welches Gewicht bei welchem Input-Vektor welches Perzeptrons, d.h. welches künstlichen Neurons, in Kombination mit welchen weiteren Gewichten bei anderen Input-Vektoren x-fach vernetzter Perzeptronen zu welchem Prozentsatz einen Fehler bzw. eine Bias-Verzerrung in der Berücksichtigung der Trainingsdaten zu verantworten hat (vgl. Abb. 04: ERROR!).
Abb. 05: Fragmente ‚menschlicher‘ Modepuppen. Abb. 06: Krakenmonster in der Digitalflut: es hält bzw. durchbohrt Digitalgeräte wie Handy oder Beamer und erscheint als mächtiges bzw. bedrohliches Sinnbild der Vernetzung – Malerei an einer Wandfläche beim Gymnasium in Gauting. |
So entpuppt sich in der Reflexion sogenannter GANs (Generative Adversarial Networks) zur generativen Bilderzeugung durch KI manche Überlegung, WIE fragmentarisch so ein künstlich generiertes KI-Bild eigentlich ist – ist diese algorithmische Zusammensetzung diversester Bildschnipsel-Informationen aus unzähligen Trainingsbildern doch eine nahezu undurchschaubare (>Black-Box-Phänomen) ‚neumodische Art‘ einer Bildzusammensetzung und ganz anders als beispielsweise eine klassische Collagetechnik mit Schere und Papier in der Kunst oder auch als eine schlicht aus Einzelteilen zusammengesetzte Modepuppe (vgl. Abb. 05 – Fragmente). Solche und andere Unwägbarkeiten moderner Digitalität, die unseren Alltag mit multiplen Geräten durchzieht bis durchseucht, scheinen wie ein trojanisches Pferd, das in glänzendem Design daherkommt, aber gleichzeitig in bedrohlich wirkender Weise nichts Gutes birgt, – eine Dialektik und ein zwiegespaltenes Verhältnis von Mensch und Digitaltechnik, was in ähnlicher Form auch an Wandmalereien aus Schüler/ -innen-Hand ablesbar ist (vgl. Abb. 06 – Krakenmonster in der Digitalflut – Malerei an einer Wandfläche an einem Gymnasium in Gauting).
Abb. 07, 08: Fotocollage eigener (studentischer) Portraits in bekannte Fotografien, wie z.B. den Selbstportraits von Frida Kahlo oder Salvador Dalì – Studienarbeiten der Kunstuniversität Linz (Österreich) |
Haben sich doch bisher Künstler/ -innen in faszinierender technischer Raffinesse an fotorealistischen Bildcollagen im Analogen oder im Digitalen geübt, manchmal bis zur äußersten Perfektion (vgl. Abb. 07, 08 – Fotocollage eigener (studentischer) Portraits in bekannte Persönlichkeiten nach Fotografien). Sehen wir diesen Selbstportraits als Digitalcollage zu Frida Kahlo oder Salvador Dalì von Student/ -innen der Kunstuniversität Linz ins Gesicht, so sehen wir zwei integrierte Identitäten, und wir sind verwirrt, wer es jetzt ist. Spätestens bei dem Namen Salvador Dalì fällt uns heutzutage jedoch nicht nur der bekannte Surrealist mit seinen Traumbildern ein, sondern auch die KI-generierte Kunst. Geschickterweise hat der Weltkonzern OpenAI den Surrealisten als Namensvetter benutzt, weshalb eines ihrer geschlossenen KI-Systeme momentan DALL-E3 heißt. Anders als bei dem open-source-System Stablediffusion können wir hier keine Trainingsdaten einsehen, um das Black-Box-Phänomen so zumindest etwas abzumildern. Diese Denkweise und der Blickwinkel zum Vorgang der Bilderzeugung mit KI ist aus dem Unterrichtsfach Informatik womöglich erstmal näher am Geschehen hinsichtlich BigData und möglichen Implikationen auf unsere Bildwelten als unser Fach Kunsterziehung.
Was ist also unsere immer wieder neue Rolle in unserem Fach Kunst momentan? Inhaltliche Haltung oder die gemeinsame Suche danach und eine daraus hoffentlich öffentlichkeitswirksame politische Stellungnahme ist wohl mehr denn je unsere gesellschaftliche Aufgabe. Bilder in ihren Kontexten und Entstehungsprozessen wahrzunehmen und zu versuchen, diese in den wichtigsten Bezügen zu deuten, ist ein komplexes Geschehen. Hier geht es für uns wohl darum, unsere Fühler noch mehr als bisher in Richtung der Fächer Ethik oder Religion und Politische Bildung auszustrecken. Jede Bildkompetenz ist seit jeher Kernkompetenz in der Kunstpädagogik und wir brauchen diese gesellschaftlich nötiger denn je. Denn eine Ignoranz funktional orientiert denkender Menschen aus informatischer Sicht ist teilweise vorprogrammiert, und eine möglich pragmatische oder technikgläubige oder gar -hörige Haltung, Ethik in algorithmischen bildgenerativen Prozessen als unpraktisches Anhängsel zu betrachten, auch.
Abb. 09: ‚SCAN FINGER TO PLAY VIDEO‘ – Studienarbeit der Universität der Künste (UDK) Berlin, gesehen auf der ars electronica in Linz, Österreich, 2022 Abb. 10: ‚Analog ist das Neue Digital‘ – eigene Notiz auf dem Dialogbrett vor der Türe der Studienwerkstatt für Neue Medien, AdBK, München. Sonnja Genia Riedl, Kreide auf Tafel, 2023 |
Provokante Kunstwerke wie z.B. „SCAN FINGER TO PLAY VIDEO“ (vgl. Abb. 09, Studienarbeit der Universität der Künste (UDK) Berlin – gesehen auf der ars electronica, dem Festival für Kunst, Technologie und Gesellschaft in Linz, Österreich, 2022) geben sich nicht unbedingt gleich als politischer Sprengstoff zu erkennen, sind es aber womöglich mehr als zuerst gedacht. Oder ist nicht die allgegenwärtige Überwachungsbedrohung in unserer vernetzen Welt ein zunehmender Grund, unsere biometrischen Daten digitaler Identifizierbarkeit eben NICHT zur situativen Unterhaltungsbefriedigung einem beispielsweise US-amerikanischen Großkonzern zum Fraß zu überlassen? Oder warum sonst sollten wir zigfach-Millionen Bildpunkte von unserem Gesicht oder Fingerabdruck in einer entscheidungsschwachen Sekunde nach Übersee senden, wie viele von uns oder unsere (uns anvertrauten) Kinder dies scheinbar fraglos als vorübergehende Alltagserleichterung machen? Wichtiges Stichwort ist hier das ‚Paradigma des Machbaren‘, wie ich neulich an der AdBK München im spannenden Gespräch mit den Professorinnen Prof. Dr. Notburga Karl (Professur für Kunstpädagogik) und Prof. Dr. Ursula Rogg (Professur für Kunstpädagogik/Quereinsteiger) hören durfte, als wir uns nach der Antrittsvorlesung von Prof. Dr. phil. Hito Steyerl draußen auf der breiten Akademietreppe unterhalten haben. Das Machbare wird von der Menschheit auch gemacht – wenn wir nichts dagegen tun. Wer sehr viel dagegen tut ist neben diversen anderen leuchtenden Sternen am Himmel der Kunstszene Prof. Dr. phil. Hito Steyerl. Unter anderem ist mir ihre humorvoll ironische Videoarbeit „How Not to be Seen“ (2013) oder ihr Artikel „In Defense of the Poor Image“[2] (2009) nachhaltig im Gedächtnis, um nur einige wenige ihrer einfluss- und umfangreichen künstlerischen UND kunsttheoretischen Arbeiten zu nennen.
In kreativem Selbstverständnis und innerhalb unserer beruflichen Arbeit an Bayerischen Gymnasien können wir auch weiterhin auf unsere bisherigen Kompetenzen bauen, denn ich behaupte „Analog ist das Neue Digital“, weshalb ich dies spontan letztes Jahr im Vorbeigehen auf der kommunikativen kleinen Kreidetafel neben der Türe der Studienwerkstatt für Neue Medien der Akademie der Bildenden Künste München notiert habe. Vermutlich wird dies jedoch ohnehin in den studentischen experimentellen Arbeiten unter der professionellen Anleitung der künstlerischen Werkstatt-Leitungen und Koryphäen dort aka Hubert Sedlatschek, Volker Möllenhoff oder Iska Jehl so gehandelt. Digitales und Analoges sind verschränkt, werden ineinander umgewandelt, referenzieren auf sich gegenseitig und sind ständig und ganz normal mit dabei, was in der Begrifflichkeit einer „Postdigitalen Kunstpädagogik“ zu formulieren versucht wird. Hands On! Do-it-yourself (DIY)! Das machen wir im Kunstunterricht schon seit ewigen Zeiten, und dieses Gestalten mit den eigenen Händen wird zum Begreifen und Gestalten unserer Welt(en) weiterhin und wichtig sein oder sogar als Gegengewicht zu virtuellen Welten immer mehr an Wert gewinnen. Und selbstverständlich haben wir gleichzeitig immer wieder neu hinzukommende digitale Dinge zu lernen oder ethische Felder zu beackern, wie z.B. die Frage, was wir als Menschheit wohl verlernen wollen im Zeitalter von ChatGPT3 oder einem autonomen Fahren mit KI-Support. Oder wollen wir das Autofahren bzw. Texte-Schreiben gar nicht verlernen, und lieber weiterhin selbständig unser Auto fahren bzw. unsere Artikel verfassen, also bewusst ohne statistische Wahrscheinlichkeitsberechnung einer Strom verschlingenden KI-Assistenz? Bedenken wir hier dies: Wir haben es selbst in der Hand, was wir gestalten oder vergessen werden und wollen, und ob wir mit ChatGPT die momentan auf das 6-fach geschätzte Menge an Strom einer bisherigen Suchmaschinen-Suche (wie z.B. mit Hilfe des umstrittenen Google-Konzerns) ausgeben wollen. Unabhängig davon ist mancher Output einer geführten Suchanfrage im KI-Chat betörend informativ, trotz aller semantischen Unfundiertheit. Es geht aber beim guten Fokus unseres Menschseins nicht nur um Wissenserweiterung. Gibt es so etwas wie aktives Vergessen? Und wenn ja, worauf sollten wir dieses anwenden? (vgl. Abb. 11: ‚THIS IS BECAUSE OF THAT…‘). Oder hat diese Thematik, wie wir effektiv die Inhalte unseres eigenen Gehirnspeichers im Griff haben, eher mit unserem aktiven Fokus zu tun? Na, dann können wir ja gespannt sein, worauf wir unser aller Blicke richten werden in der Zukunft, die vor uns liegt.
Aus der christlichen Bibel kennen wir die Überlieferung des mächtigen Wunsches „Dein Wille geschehe“, und wie oft konnten wir schon miterleben, dass das, worauf wir uns gemeinsam geeinigt oder ganz alleine fokussiert haben, sich auch in sichtbarer Realität manifestiert hat. Auch in unserem Fach Kunst lassen ermutigen wir unsere Schüler/ innen, Realitäten entstehen zu lassen – was mich an das wiederum biblische Motto erinnert: „So wie du glaubst, geschehe dir“. Immer wieder ist uns diese eigene visionäre Kraft unserer erschaffenen und letztlich inneren Bilder womöglich in ihrer Konsequenzkette noch nicht genug bewusst. Müssen wir uns doch vordringlichst und zuallererst um die Reinheit unser eigenen Motivation bemühen und einander auch hierin Resonanz zeigen. Auf diese beiden Aspekte hatte beispielsweise auch Dalai Lama konzentriert hingewiesen: Motivation und Hilfsbereitschaft. In welcher Weise haben diese Themen auch mit KI zu tun?
Abb. 11: „THIS IS BECAUSE OF THAT …“ vernetze Welt mit vielfältigen Wechselbezügen und gegenseitigen Abhängigkeiten. Was wollen wir als Menschheit verlernen? Plakat auf einer abgerissenen Plakatwand. Abb. 12: edulogo.org – Reflexionen zu Selbstidentifikation als Log-Buch in Zeiten zunehmender Bildproduktion durch Maschinelles Lernen/ KI. Das Code-Wort für die Publikation „KI in Kunst und Unterricht“ von 2023 lautet übrigens (temporär) ‚KI-Kunst‘ – falls Sie mal reinschauen wollen. |
Die digitalen Zwillinge der uns aus finanziellem Wirtschafts- oder Polit-Interesse vereinnehmen-wollenden Metaversen mögen hier dringend von uns selbst in die notwendigen Grenzen verwiesen werden – also durch dich und mich und uns alle. Denn sowohl ein Arbeiten mit als auch ohne KI – schwebt dies nicht in der Kunst schon immer zwischen Reproduktion und Kreation? Lebt die Kunst nicht seit jeher auch vom Plagiat? Zeitfressender oft passiver Medienkonsum ist in Medienpraxis umzuleiten. Schüler/ -innen in (Kunst-)Werkbetrachtungen lernen durch das aufmerksame Beobachten oder gar Kopieren von Kunst visuell. Dies ist ähnlich unserem Lernen als Menschen von Kindheit an durch schlichte Nachahmungen und wir bilden danach etwas eigenes Neues.
„Können sich Maschinen evolutionär anpassen – so wie wir Menschen?“ – so oder so ähnlich lautete die Frage meines/unseres 16jährigen ältesten Sohnes Rocco. Diese Frage wirkte auf mich eher beiläufig, als er sich in unserer kleinen Küche in aller gewohnten Routine etwas zu Essen machte. Gleichwohl war ich erstaunt, so eine fundamentale Frage von einem momentan sonst tendenziell eher schweigsamen Zeitgenossen gestellt zu bekommen, zeigt das doch eine eigene große Reflexionstiefe, was genau es mit der Mensch-Maschine-Interaktion wohl auf sich hat. Und diese und andere Fragen der jüngeren Generationen gilt es zu beantworten, so gut wir es absehen können – zuallererst jedoch für uns selbst. Lasst uns also unsere eigenen Fragen weiterhin ernst nehmen, denn wo keine eigenen Überlegungen und Beobachtungen sind, da können auch keine Fragen von anderen beantwortet werden, auch wenn es im Alltag des Unterrichtens mir immer wieder so scheint, als wäre das Wichtigste, was wir weitergeben können, das eigene Staunen bzw. momentane Ratlosigkeiten. Ich vertraue da auf jede scharfsinnige Themenfokussierung oder sinnliche Lösungskreation im Kunstunterricht – mit und ohne KI. Und ich freue mich weiterhin auf und über unseren gemeinsamen Dialog – gerne auch auf edulogo.org. Ich bin auf der Suche nach Reflexionen unserer jeweils persönlichen und auch beruflichen Selbstidentifikation, auf der Suche nach einem Log-Buch im Tunnel(-Blick) wiederkehrender rekursiver KI-Bilder.[3] Die mit KI künstlich generierten Bildwelten basieren auf Ästhetiken der Trainingsbilder, was durch immer wieder erneute digitale Publikationen solcher Bilder und mögliche Rückführungen als neue Trainingsbilder schon Begrifflichkeiten wie z.B. die einer KI-Demenz aufgeworfen hat.
Was haben wir Menschen konkret mit KI-Algorithmen zu tun, und was meint Hito Steyerl, wenn sie von „impersonated AI“ spricht? Die KI blickt quasi durch unser aller Augen im Prozess des Maschinellen Lernens anhand gelabelter Daten für Überwachtes Lernen bis zur Muster-Erkennung als Unüberwachtes Lernen der KI-Datenströme. Welche unterbezahlten Arbeiter/ -innen aus Niedriglohnländern labeln unsere Daten? Und um was für Daten handelt es sich dabei? Was haben posttraumatische Belastungsstörungen damit zu tun? Und was sind schwarze Muster? Mit sogenannten „black patterns“ geht es auch um Muster und Mustererkennung, allerdings werden hier unter anderem die psychologischen Dimensionen von KI-Empfehlungsalgorithmen in Social Media zu erfassen versucht, vgl. auch die in IEEE publizierte Studie zum Vertrauen in das Lernen mit KI-generierten Avatar-Persönlichkeiten, die Persönlichkeiten ähneln, die wir sehr mögen.[4] Das bekannte MIT – Massachusetts Institute of Technology in Cambridge/ USA hat beispielsweise durch die Forschungsarbeit von Robert Mahari und Pat Pataranutaporn vor kurzem darauf hingewiesen, dass wir uns (alle) auf die KI vorbereiten müssen, da es unter Umständen schwer ist, ihr zu widerstehen: „We need to prepare for addictive intelligence“ und „The allure of AI companions is hard to resist.“ [5] ist da zu lesen. Und welche Folgen es haben kann, wenn mensch[6] diesem Aussehen oder/und dieser Geschwindigkeit nicht widerstehen kann, weil womöglich weder die Tragweiten algorithmischer Bezüge auch nur ansatzweise erahnt werden, noch die Wahrnehmungen genug geschult sind (innerhalb und außerhalb vom Kunstunterricht), um tief in die semantischen Bedeutungsebenen oder statistischen Wahrscheinlichkeitsberechnungen von der 0 und der 1 zu blicken, das wissen wir noch nicht.
Immerhin leben wir im Exponentiellen Zeitalter rasend wirkender Prozesse und Veränderungen. Zeit für authentischen Dialog und ganz analoge Innerlichkeit, würde ich sagen: Individuelle Meditation und Gebet in eigener eigenständiger Art, das scheint mir schon immer und auch weiterhin elementar. Diese Kontexte erinnern mich daran, dass Prof. Dr. phil. Hito Steyerl die Exposition ihrer neu gegründeten und mit Dr. Francis Hunger begleiteten AdBK-Klasse für „Emergent Digital Media“ mit diversen spannenden Kunstwerken und Installationen im repräsentativen Kolosssaal in der Akademie der Bildenden Künste bei der Jahresausstellung vor wenigen Wochen unter dem Titel „ROOT /ru:t/“ zeigt. Mit ‚root‘ (engl.) ist zwar auch der technische Begriff des digitalen Stammverzeichnisses gemeint, doch noch viel grundlegender ist es der Begriff für Wurzel und Ursprung. Im kommentierenden Blatt zur Ausstellung, die von einer Arbeitsgruppe der Klasse geplant und kuratiert wurde, ist vom „superuser account in operating systems“ und von einer „sonar superstructure“ zu lesen, während hier ein Wechsel vom reflektierten Medium (Marshall McLuhan) hin zum Modell (Benjamin Bratton und Blaise Agüera y Arcas) betont wird. Ich denke, auch wenn KI-Empfehlungsalgorithmen sich wie Blasen über uns wölben sollten (vgl. Abb. 13 SUPERHOT MIND CONTROL DELETE), können wir dem stets aktiv entgegentreten und offen sein für neue Begegnungen im selbstbestimmten Lebensentwurf. (vgl. Abb. 14: Eigenes Kinderfoto).
Abb. 13: SUPERHOT MIND CONTROL DELETE – T-Shirt-Aufdruck, gesehen auf der SUPERBOOTH, der Messe für Elektronische Musik in Berlin, 2024. Abb. 14: Eigenes Kinderfoto. Werfe ich jetzt den linken oder den rechten Ball? Oder beide? Nicht nur das „ob“, sondern vielmehr das „wie“ scheint bedeutsam. |
Welche algorithmischen, und welche künstlerischen als auch politischen oder unterrichtlichen Strukturen sollten wir also untersuchen? Sind wir als Lehrer/ -innen des schillernden Faches Kunst im Unterricht am Gymnasium in Bayern ‚superuser‘? Oder wollen wir das in manchen Bereichen unseres Faches noch tiefer werden? Wenn ja – wo genau? Vielleicht unterhalten wir uns also im SALON 100 in Fürstenfeldbruck nach der ersten Woche des neuen Schuljahres über die Begriffe „Medium“ und „Modell“ im Arbeiten mit Kunst und mit KI im Kunstunterricht, oder darüber, wie die ‚superuser‘ von morgen aussehen können oder müssen – mal sehen.
Sonnja Genia Riedl
edulogo | Journal für Kunst+Code in Unterricht und Lehre (Hg.)
Themenbereich Medien des BDK Bayern (Fachverband Kunstpädagogik e.V.)
Fachleitung Kunst am Staffelsee-Gymnasium in Murnau
mit den weiteren Unterrichtsfächern Informatik und Ethik
studio [at] edulogo.org
Abbildungen:
Abb. 01-13: Fotos © sonnjagenia (Sonnja Genia Riedl), Abb. 14: Foto © Hermann Enzenhofer (mein Papa)
Anmerkungen:
[1] Öffnungszeiten: SALON 100, 6.-22. September 2024, Fr-So nachmittags bzw. abends, vgl. kulturwerkstatthaus10.de
[2] vgl. https://www.e-flux.com/journal/10/61362/in-defense-of-the-poor-image – Artikel Hito Steyerl von 2009, aufgerufen am 08.08.2024)
[3] Eine Rekursion in der Informatik ist eine Funktion, die sich selbst aufruft.
[4] vgl. https://ieeexplore.ieee.org/document/9962478 (aufgerufen am 08.08.2024)
[5] vgl. https://www.technologyreview.com/2024/08/05/1095600/we-need-to-prepare-for-addictive-intelligence/? (aufgerufen am 08.08.2024)
[6] Ich schreibe hier ‚mensch‘, weil ich diese Formulierung bei einer Publikation von Prof. Dr. Ursula Rogg von der AdBK München passenderweise so gesehen habe.
sonnjagenia
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