Blog des Departments Kunstwissenschaften

Fernreisende Künstler der Generation vor Dürer

5. Juni 2024

Ein Workshop in Mainz, der Kulturtransfer und vernetzte Kunstgeschichte am Übergang von Mittelalter und Renaissance in den Blick nimmt und die Möglichkeiten neuer Forschungsansätze ausloten soll.

In der kunsthistorischen Forschung wird oft der Eindruck erweckt, dass der in Nürnberg aufgewachsene Albrecht Dürer der erste deutsche Künstler war, der über die Alpen nach Italien reiste, um die neuartige Kunst der Renaissance südlich der Alpen zu entdecken und diese Einflüsse nach Deutschland zurückzubringen. Diese Annahme ist zwar nicht ganz falsch, insbesondere wenn man die große Wirkung Dürers auf die Malerei in Mitteleuropa berücksichtigt, jedoch greift sie auch zu kurz. Bereits vor Dürer reisten deutsche Künstler nach Italien und brachten von dort wesentliche Anregungen mit.

Ein bedeutendes Beispiel ist Erhard Reuwich, um 1440 geboren in Utrecht, der jedoch den größten Teil seiner Schaffenszeit in der erzbischöflichen Mainz verbrachte. Am 25. April 1483 begab sich Reuwich im Gefolge des Mainzer Domherren Bernhard von Breidenbach auf eine Pilgerfahrt, die ihn über Italien (Venedig) und Griechenland ins Heilige Land führe. Anfang Februar 1484 war er wieder in Mainz. Damals war Dürer noch recht jung. 1486 wurde mit seinen Illustrationen der Pilger- bzw. Reisebericht „Peregrinatio in terram sanctam“ im Mainz gedruckt. Hier ein Bild mit der recht realistisch und wiedererkennbar (bis heute!) dargestellten Grabeskirche in Jerusalem.

Im Umfeld von Erhard Reuwich entstanden in den 1480er Jahren bemerkenswerte und neuartige Werke , die Ideen und Einflüsse aus einem weiten geografischen Umkreis zusammenführten und am Rhein damals faszinierend gewirkt haben müssen. Das hat nicht alles Reuwich ausgelöst, auch andere Maler und Bildschnitzer seiner Generation begannen am Mittelrhein (vor allem neben Mainz in Frankfurt, Heidelberg, Worms und Speyer) die neuen Ideen aus der Ferne umzusetzen. Bildnisse, Landschaften, Pflanzen, Kanonen, Alltagsleben und menschliche Interaktionen werden in einer Naturtrue und Lebensnähe geschildert, die damals in der Region zuvor noch nicht üblich war.

Eines der bedeutendsten Werke dieser Zeit ist das sogenannte „Hausbuch“, eine illustrierte Handschrift, die bis vor kurzem im Besitz der Familie von Waldburg-Wolfegg war und sich nun in privatem Besitz an einem unbekannten Ort befindet. Hier ein Beispiel daraus. Die Forschung zu diesem Werkkomplex ist langjährig und erstreckt sich über mehrere Generationen. Es ist von zentraler Bedeutung, dass solche Themen weiterhin in der Kunstgeschichte präsent bleiben und intensiv erforscht werden.

Um diesem Anliegen zu folgen, organisieren Berit Wagner, Matthias Müller und ich, nicht in München, sondern in Mainz einen Workshop. Wir haben im Titel allerdings Dürer als Generationsmarker gegen den am Mittelhein aufgewachsenen und dort auch tätigen Grünewald als Exponenten der Nachfolgegeneration ausgetauscht. Das Namedropping bleibt aber! Das Programm ist hier zu finden. Der Workshop ist zwar klein gehalten, doch es besteht die Möglichkeit, dass Videoaufzeichnungen zur Verfügung gestellt werden, obwohl dies noch nicht endgültig zugesichert werden kann, da die Freigabe der Aufnahmen noch aussteht. Interessierte sollten sich die mögliche Veröffentlichung dennoch vormerken.

Ziel des Workshops ist es, das aktuelle wissenschaftliche Potenzial dieses Themenbereichs auszuloten und zu prüfen, ob eine größere Tagung im nächsten Jahr sinnvoll und machbar ist. Ich unterstütze diese Idee nachdrücklich, denn die Zeit der Generation vor Dürer (oder Grünewald) war eine Periode, in der viele europäische Austauschprozesse im Bereich der Kunst ihren Anfang nahmen oder sich inmtensivierten und noch viel experimentiert wurde. Diese Übergangsphase der Kunstgeschichte bietet daher ein reiches Forschungsfeld, das es weiter zu erkunden gilt. Links ein spektakuläres Bild aus dem Hausbuch, eine der ersten Darstellungen einer Bergwerkslandschaft. Rechts ein Tafelbild aus diesem Kreis mit einer Landschaft, die echte Tiefe suggeriert. Nur der Himmel ist hier noch Golden, da es sich wohl um einen Altar handelt. In der Handschrift hat man (zur selben Zeit!) das anders gemacht.

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