Blog des Departments Kunstwissenschaften

Immersion und Erkenntnis: Wie digitale Räume neue kunsthistorische Fragen eröffnen

26. März 2025

Die LED-CAVE des Leibniz-Rechenzentrums eröffnet neue Möglichkeiten für digitale Rekonstruktionen. Dabei stellt sich auch die Frage: Welche kunsthistorischen Erkenntnisse lassen sich aus immersiver Wahrnehmung gewinnen?

Gestern hatten wir als Team des „Corpus der barocken Deckenmalerei“ die Gelegenheit, unsere langjährige Forschung in einem neuen Licht zu erleben – buchstäblich. Im Leibniz-Rechenzentrum (LRZ) in Garching konnten wir erstmals unsere digitalen Raummodelle in der neu installierten LED-CAVE betrachten. Großer Dank an Elisabeth Mayer, die dort zu neuen digitalen Darstellungsverfahren forscht.

Ein Virtuelles Modell der Kammerkapelle in Schloss Schleißheim, das in einem Seminar von Ute Engel enstanden ist.

Der Unterschied zu bisherigen Projektionstechnologien ist enorm: Statt mit Beamern wird hier mit einer hochauflösenden LED-Wand gearbeitet, die eine beeindruckende Bildschärfe von etwa einem Pixel pro Millimeter erreicht. Die neue LED-CAVE bietet einen fünfseitigen, stereoskopisch bespielten Raum, der mit einer Spezialbrille betreten wird. Anders als bei VR-Brillen, bei denen das Bild direkt vor dem Auge erzeugt wird, sorgt der reale Abstand zum Bild für eine besonders eindrückliche Form der Immersion. Auch Räume, die wir in 3D rekonstruiert haben, wirken plötzlich greifbar, so das längst verschwundene Renaissance-Lusthaus am Münchner Hofgarten.

Unsere Zusammenarbeit mit dem LRZ reicht fast zehn Jahre zurück. Begonnen hat alles mit dem aufwendigen 3D-Modell des Bamberger Kaisersaals. Damals mussten wir aufgrund technischer Limitierungen die Datenmenge stark reduzieren, um sie für Projektionssysteme nutzbar zu machen. Dass wir nun die Rohdaten von damals in voller Auflösung einsetzen können, zeigt, wie entscheidend nachhaltiges Forschungsdatenmanagement ist: Wer Rohdaten bewahrt, kann von künftigen technologischen Entwicklungen profitieren.

Mit der gestiegenen technologischen Qualität stellt sich nicht nur die Frage, wie wir unsere Modelle zeigen, sondern auch, was wir mit ihnen erforschen können. Die neue LED-Cave eröffnet hier interessante methodische und erkenntnistheoretische Felder. Der subjektive Eindruck, sich physisch in einem Raum zu bewegen, ist so überzeugend, dass er selbst protokolliert und versprachlicht werden kann. Gerade für rekonstruktive Forschung, bei der aus Grundrissen, Lichtverhältnissen, Wetterdaten und Ausstattung ein kohärenter Raumeindruck entsteht, ergeben sich neue Möglichkeiten, Immersion analytisch zu beschreiben.

Die neue CAVE mit dem älteren Virtuellen Modell des Bamberger Kaiserssals. Mit diesem Modell haben wir begonnen, diesen Medientyp im Zusammenhang mit der barocken Deckenmalerei zu erforschen.

Darüber hinaus plant das Leibniz-Rechenzentrum, die CAVE mit Sensorik für das Bewegungs- und Verhaltenstracking auszustatten. So könnten sich in naher Zukunft Studien zur Navigation, Blickführung und Raumwahrnehmung in virtuellen Settings durchführen lassen. Vergleichbare Forschung wird etwa von unserem Kollegen Raphael Rosenberg in Wien bereits in realen Ausstellungsräumen durchgeführt – inklusive Eye-Tracking zur Analyse von Wahrnehmungsroutinen.

Übertragen auf rekonstruierte oder hypothetische Räume, lassen sich aus solchen Untersuchungen aktuelle Forschungsfragen ableiten. Wie verhalten sich Menschen in bestimmten Raumsituationen? Wie wirken Raumdisposition, Ausstattung oder Licht auf Aufmerksamkeit, Bewegung und Orientierung? Solche Fragen münden in ein sich entwickelndes Forschungsfeld, das man als kognitive Kunstgeschichte bezeichnen könnte. Ein Ansatz, der Wahrnehmung, Informationsverarbeitung, Zeitlichkeit und kulturelle Kontexte in immersiven Simulationen verknüpft.

Das Virtuelle Modell des Bamberger Kaiserssals in der CAVE des LRZ. Von außen sieht das ganz verzerrt aus. Der Eindruck mit Brille ist aber durch die neuen LEDs umwerfend.

Der Besuch in der Cave war nicht nur ein technisches Highlight, sondern auch ein eindrückliches Erlebnis für unser gesamtes Team. Er bestärkt uns in unserem Ziel, historische Räume nicht nur auch digital zugänglich zu machen, sondern mit Hilfe dieser Interfacekategorie auch zu erforschen.

Etwas Lektüre von uns zum Thema: Digitale Raumdarstellung. Barocke Deckenmalerei und Virtual Reality (2020).

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